RW Ergebnisse der Überwachungs-Schwerpunktaktion
Gewaltprävention in Rettungsdiensten in NRW – Ergebnisse der Überwachungs-Schwerpunktaktion 2019/2020
Die Gewaltprävention ist für Rettungsdienste ein wichtiges Thema im Arbeits- und Gesundheitsschutz.
Einsatzkräfte beim Rettungsdienst werden häufig von Personen gestört und teilweise auch Opfer gewalttätiger Übergriffe. Beschimpfungen, Drohungen oder gar körperliche Übergriffe durch Patientinnen und Patienten, ihre Angehörigen oder Schaulustige, gehören für viele Versicherte zum Arbeitsalltag.
Zu diesem Ergebnis kam 2012 die Studie „Gewalt gegen Rettungskräfte - Bestandsaufnahme zur Gewalt gegen Rettungskräfte in Nordrhein-Westfalen“, die am Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum in Kooperation mit der Unfallkasse NRW durchgeführt wurde. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch 2017 die Folgestudie „Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehren und Rettungsdienste in Nordrhein-Westfalen“, die ebenfalls von der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt und vom Ministerium des Innern NRW, dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW, der Unfallkasse NRW und der komba gewerkschaft nrw in Auftrag gegeben wurde.
Die Gewaltprävention muss von Arbeitgebenden der Rettungsdienste in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden. Auf dieser Grundlage sind entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen zu ergreifen.
Durchführung der Befragung
Um Rettungsdienste bei der Gefährdungsbeurteilung zu unterstützen, wurde von der Abteilung „Gesundheitsdienst, Feuerwehr, Hilfeleistung und Ehrenamt“ der Unfallkasse NRW eine Checkliste entwickelt. Die Checkliste wurde an die hier befragten Rettungsdienste verschickt und in das Portal „Sicherer Rettungsdienst“ eingestellt. Der Fragebogen kann von den Betriebsstätten der Rettungsdienste („Rettungsdienste“, „Rettungswachen“) zur Überprüfung der eigenen Gefährdungsbeurteilung genutzt werden.
Der Fragebogen ist so aufgebaut, dass bei mit „Ja“ beantworteten Fragen angenommen werden kann, dass die Standards für Sicherheit und Gesundheit der Versicherten ausreichend berücksichtigt werden. Bei nicht mit „Ja“ beantworteten Fragen sind Arbeitgebende aufgefordert das Arbeitsschutzniveau zu überprüfen und ggf. anzupassen.
Die Befragung wurde in den Jahren 2019/2020 durchgeführt. Insgesamt wurden über 100 Rettungswachen, die bei der Unfallkasse NRW gesetzlich unfallversichert sind, durch die jeweils zuständige Aufsichtsperson befragt. Die Befragungen wurden vor Ort, schriftlich oder auch telefonisch durchgeführt.
Hinweise zur Auswertung der Ergebnisse
Die im weiteren Text und in den Balkendiagrammen dargestellten Werte wurden durch die o. g. Befragungen gewonnen.
Ins Fazit fließen neben den Ergebnissen der Befragungen auch die vor Ort geäußerten Meinungen und Erkenntnisse aus vorherigen Präventionsaktivitäten sowie aus den zitierten Studien mit ein.
Gewaltprävention in Rettungsdiensten (105 ausgewertete Bögen)
Unternehmensleitbild/Gefährdungsbeurteilung | Antworten "Ja" |
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Besitzt der „Betrieb“ ein Unternehmensleitbild? | |
Wird das Thema „Sicherheit und Gesundheit“ der Beschäftigten im Unternehmensleitbild berücksichtigt? | |
Werden zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung auch mögliche Amokläufe, terroristische Lagen (oder sonstige besondere Einsatzlagen) berücksichtigt? | |
Vor Aufnahme der Tätigkeit | Antworten "Ja" |
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Wird vor Aufnahme der Tätigkeit über die Möglichkeit von Übergriffen (tätlich, verbal, nonverbal) informiert? | |
Wird vor Aufnahme der Tätigkeit zum Verhalten zur Vermeidung von Übergriffen unterwiesen? | |
Wird diese Unterweisung dokumentiert? | |
Wird vor Aufnahme der Tätigkeit zum Verhalten nach einem Übergriff unterwiesen? | |
Wird diese Unterweisung dokumentiert? | |
Falls Übergriffe stattgefunden haben | Antworten "Ja" |
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Gab es im letzten Jahr Übergriffe auf Einsatzkräfte? | |
Werden die Übergriffe dokumentiert? | |
Ist der betriebsinterne Meldeweg festgelegt und bekannt? | |
Erstellen Arbeitgebende eine Strafanzeige, wenn Einsatzkräfte einen für sie belastenden Übergriff (tätlich, verbal, nonverbal) erleiden? | |
Werden alle Einsatzkräfte im Rahmen der regelmäßigen Arbeitsschutzunterweisung gemäß § 12 des Arbeitsschutzgesetzes jährlich, oder bei Bedarf auch unterjährig, unterwiesen? | |
Werden diese Unterweisungen dokumentiert? | |
Gibt es PSU-Teams (psychosoziale Unterstützung)/kollegiale Helferinnen und Helfer zur Unterstützung zur Vermeidung einer möglichen Traumatisierung nach einem Übergriff? | |
Werden Supervisionen für PSU-Teammitglieder/kollegiale Helferinnen und Helfer durchgeführt? | |
Interne Kommunikation und Austausch mit anderen Behörden | Antworten "Ja" |
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Gibt es Maßnahmen zur Verbesserung der Kommunikation zwischen der Leitstelle und den Einsatzkräften, z. B. durch standardisierte Abfragen, Stichwortvereinbarungen o. ä.? | |
Gibt es Regelungen mit Arbeitgebenden zum Einsatzverhalten bei Gefährdungssituationen – Rückzug? | |
Gibt es Vereinbarungen mit der Polizei, z. B. zum Verhalten bei bestimmten Einsatzlagen? | |
Kontextbezogenen Fortbildungen | Antworten "Ja" |
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Gibt es kontextbezogene Fortbildungen z. B. zu(r) | |
… Kommunikations- und Deeskalationstechniken? | |
… Abwehrtechniken? | |
… „Drogen“ und „Suchtmitteln“ bei Patientinnen und Patienten? | |
… kulturellen, religiösen, migrationsspezifischen Besonderheiten? | |
…rechtlichen Aufklärung zum Thema „Notwehr“? | |
Schutzausrüstung | Antworten "Ja" |
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Werden auf Grundlage des Ergebnisses der Gefährdungsbeurteilung Schutzwesten oder andere Schutzausrüstungen zur Verfügung gestellt? | |
Werden die Schutzwesten/Schutzausrüstungen bei Bedarf getragen? | |
Unfallkasse NRW | Antworten "Ja" |
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Ist der Meldeweg zur Unfallkasse NRW bekannt? | |
Sind die Leistungen (fünf probatorische Sitzungen, kurzfristige Vermittlung einer therapeutischen Hilfe) der Unfallkasse NRW bekannt? | |
Gewaltprävention – Ergebnisse der Befragung
Die Betriebe wurden befragt, ob sie ein Unternehmensleitbild besitzen. Dies bejahten 91 % der Rettungsdienste. Insgesamt berücksichtigten 64 % der Rettungsdienste das Thema in ihrem Leitbild.
In 59 % der Rettungsdienste wurde vor Aufnahme der Tätigkeit über die Möglichkeit von tätlichen, verbalen oder auch nonverbalen Übergriffen informiert. Vor Aufnahme der Tätigkeit wurde zum Verhalten zur Vermeidung von Übergriffen zu 68 % und zum Verhalten nach Übergriffen zu 67 % unterwiesen. Weniger als die Hälfte von den durchgeführten Unterweisungen wurde dokumentiert.
Im letzten Jahr vor der Befragung gab es in 77 % der Rettungsdienste Übergriffe in tätlicher, verbaler oder nonverbaler Form auf Einsatzkräfte. Wenn Übergriffe stattfanden, wurden sie dokumentiert. Auch der betriebsinterne Meldeweg war nahezu in allen Einheiten festgelegt und bekannt (97 %). Wenn Einsatzkräfte einen für sie belastenden Übergriff erlitten, stellten Rettungsdienste zu 83 % eine Strafanzeige bei der Polizei.
In 51 % der Fälle wurden alle Einsatzkräfte im Rahmen der regelmäßigen Arbeitsschutzunterweisung gemäß § 12 des Arbeitsschutzgesetzes jährlich, oder bei Bedarf auch unterjährig, zum Thema „Gewaltprävention“ unterwiesen. 40 % dieser Unterweisungen wurden dokumentiert.
PSU-Teams (psychosoziale Unterstützung) oder kollegiale Helferinnen und Helfer zur Unterstützung zur Vermeidung einer möglichen Traumatisierung nach einem Übergriff waren fast immer vorhanden (95 %). Supervisionen für PSU-Teammitglieder oder kollegiale Helferinnen und Helfer wurden zu 48 % durchgeführt.
Maßnahmen zur Verbesserung der Kommunikation zwischen der Leitstelle und den Einsatzkräften, z. B. durch standardisierte Abfragen, Stichwortvereinbarungen o. ä., wurden bei 57 % der Rettungswachen ergriffen. Dies lag ungefähr im gleichen Bereich wie die Regelungen zum Einsatzverhalten bei Gefährdungssituationen, die einen Rückzug erfordern (64 %). Vereinbarungen mit der Polizei, z. B. zum Verhalten bei bestimmten Einsatzlagen, gab es bei 52 % der befragten Rettungswachen.
Bei 31 % der Rettungsdienste wurden mögliche Amokläufe, terroristische oder sonstige besondere Einsatzlagen bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz berücksichtigt.
Lediglich 14 % der Rettungsdienste stellten Schutzwesten oder andere Schutzausrüstungen aufgrund der Gefährdungsbeurteilung zur Verfügung. Wenn Schutzwesten oder andere Schutzausrüstungen zur Verfügung gestellt wurden, wurden diese bei Bedarf auch immer getragen.
Auch das Feld der kontextbezogenen Fortbildungen wurde näher beleuchtet. Fortbildungen in Bereichen der Kommunikations- und Deeskalationstechniken wurden in Rettungsdiensten zu 85 % durchgeführt. Abwehrtechniken wurden in 65 % der Wachen geschult. Qualifizierungen zu den Stichwörtern „Drogen“ und „Suchtmittel“ fanden zu 66 % statt. Informationen zu kulturellen, religiösen und migrationsspezifischen Besonderheiten wurden zu 55 % vermittelt. Schulungen zur rechtlichen Aufklärung zum Thema „Notwehr“ fanden zu 64 % statt.
Die Rettungsdienste wurden auch zur Unfallkasse NRW befragt. Hier antworteten91 %, dass der Meldeweg von Übergriffen zur Unfallkasse NRW bekannt sei. Zu 49 % waren die Leistungen der Unfallkasse NRW, wie z. B. die Inanspruchnahme von fünf probatorischen Sitzungen bzw. die kurzfristige Vermittlung einer therapeutischen Hilfe, bekannt.
Fazit – Stand der Gewaltprävention
Im Vergleich zu früheren Jahren sind Einsatzkräfte heute häufiger auch vor Beginn der Tätigkeit darüber informiert, dass es im Dienst zu tätlichen, verbalen oder nonverbalen Übergriffen kommen kann. Dieser positive Trend ist auch bei den Unterweisungen zu erkennen. Trotzdem gibt es hier noch Verbesserungspotential, denn nicht alle Einsatzkräfte haben bisher Informationen oder Unterweisungen erhalten, die sie auf einen Übergriff und geeignete Maßnahmen zur Prävention vorbereiten. Die jährlichen Wiederholungsunterweisungen zum Arbeitsschutz wurden nur bei der Hälfte der Rettungsdienste durchgeführt.
Wenn Übergriffe stattfanden, wurden diese dokumentiert. Der betriebsinterne Meldeweg war festgelegt und bekannt. Die Bereitschaft der Rettungsdienste eine Strafanzeige zu stellen, wenn Einsatzkräfte einen für sie belastenden Übergriff erleiden, war ebenfalls sehr hoch. Auch PSU-Teams (psychosoziale Unterstützung)/kollegiale Helferinnen/Helfer zur Unterstützung nach einem Übergriff waren fast immer vorhanden. Supervisionen für PSU-Teammitglieder/kollegiale Helferinnen und Helfer wurden hingegen deutlich weniger durchgeführt. In diesem Bereich insgesamt hat sich in den letzten Jahren offensichtlich einiges verbessert.
Die Maßnahmen zur Verbesserung der Kommunikation zwischen der Leitstelle und den Einsatzkräften, z. B. durch standardisierte Abfragen, Stichwortvereinbarungen o. ä., können hingegen noch weiter vorangetrieben werden, ebenso wie die Regelungen zum Einsatzverhalten bei Gefährdungssituationen – Rückzug.
Das Verhalten in Notfallsituationen muss verbessert werden. Hier sind Maßnahmen dringend erforderlich! Es fehlten in vielen Fällen Einsatzpläne für Notfälle, wie Amokläufe und terroristische Lagen, sowie Absprachen mit der Polizei zum Verhalten bei gefährlichen Einsatzlagen. Ebenso wurden bei gefährlichen Einsätzen nur in wenigen Fällen Schutzwesten zur Verfügung gestellt.
Des Weiteren sind die näheren Umstände von Übergriffen und aggressiven Verhaltensweisen systematisch zu analysieren und aus den gewonnenen Erkenntnissen geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dies ist insbesondere eine gemeinsame Aufgabe für Fachkräfte für Arbeitssicherheit und betriebsärztliche Betreuungen, die laut Arbeitssicherheitsgesetz mit der Untersuchung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen betraut sind (Untersuchungen nach traumatischen Ereignissen).
Die Analyse soll den Verantwortlichen im Unternehmen vorgestellt und Arbeitsschutzmaßnahmen zur Verhütung der Arbeitsunfälle und arbeitsbedingten Erkrankungen vorgeschlagen werden (Arbeitssicherheitsgesetz §§ 3 und 6).
Da das Angebot der probatorischen Sitzungen nach einem Übergriff in den Rettungsdiensten z. T. noch nicht bekannt war, soll an dieser Stelle auf die Broschüre S 66 der Unfallkasse NRW „Notfallmanagement nach psychisch belastenden Extremsituationen am Arbeitsplatz“ hingewiesen werden.