Transport übergewichtiger Patientinnen und Patienten

RW Transport übergewichtiger Patientinnen und Patienten

Der Transport übergewichtiger Patientinnen und Patienten stellt Rettungsdienste vor besondere Herausforderungen.

Zur Beurteilung des Körpergewichts ist der Body-Mass-Index (BMI) der gebräuchlichste Orientierungswert. Er beschreibt das Verhältnis von Körpergröße zu Körpergewicht und gibt damit einen empfehlenswerten Gewichtsrahmen an. Dabei werden das Gewicht in Kilogramm und die Größe in Metern berücksichtigt: BMI = kg/m2.

Nach der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation beginnt Übergewicht bei einem BMI von 25, ab einem BMI von 30 spricht man von starkem Übergewicht oder Adipositas.

In Deutschland sind derzeit knapp 47 Prozent der Frauen und 61 Prozent der Männer übergewichtig. Der Anteil adipöser Personen liegt bei Frauen und Männern bei ca. 18 Prozent [Quelle].

Inwiefern sich für die medizinische Versorgung einer Person aufgrund seines Gewichts besondere Herausforderungen ergeben, hängt aber nicht allein vom BMI ab, sondern auch von der Körpergröße, -form und Mobilität.

Probleme beim Transport

Der Transport von übergewichtigen Patientinnen und Patienten ist mit einer Reihe von Problemen verbunden. Zu den häufigsten Problemen zählen:

  • Normale Tragen im Rettungsdienst sind für Gewichte bis zu etwa 150 bis 180 Kilogramm ausgelegt. Adipöse Patientinnen und Patienten, insbesondere bei extremer Adipositas, überschreiten diese Grenzen oft.
  • Das Heben und Transportieren von adipösen Patientinnen und Patienten erfordert in der Regel mehr Personal und ist mit einer erhöhten körperlichen Belastung für Rettungskräfte verbunden. Die Gefahr von Rückenverletzungen und anderen körperlichen Schäden bei Rettungskräften nimmt zu.
  • Der Transport adipöser Patientinnen und Patienten aus engen Wohnungen oder über schmale Treppen stellt erhebliche physische und technische Herausforderungen dar.

Einsätze mit adipösen Patientinnen und Patienten können deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, da die Vorbereitung, der Transport und die Versorgung länger dauern. Das Heben, Umlagern und Sichern der Patientinnen und Patienten ist komplizierter und erfordert oft mehr Zeit und Ressourcen. Dies kann die allgemeine Einsatzbereitschaft des Rettungsdienstes beeinflussen und zur höheren Belastung der Einsatzkräfte führen.

  • In vielen Fällen reicht die Anzahl der Rettungskräfte bei schwergewichtigen Patientinnen und Patienten nicht aus, um einen sicheren Transport zu gewährleisten. Daher ist Unterstützung durch zusätzliche Kräfte, insbesondere die Feuerwehr, erforderlich.
  • Medizinische Versorgung: Auch die Behandlung adipöser Patientinnen und Patienten vor Ort ist oft schwieriger, da gängige medizinische Geräte, wie Blutdruckmanschetten oder Beatmungsmasken, möglicherweise nicht passen oder die Ermittlung vitaler Werte erschwert ist.

Adipositas-Konzept

Um Herausforderungen zu begegnen, ist es erforderlich, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ein spezielles Adipositas-Konzept zu erstellen. Dieses Konzept muss sowohl technische als auch organisatorische Maßnahmen enthalten, um den Transport von adipösen Patientinnen und Patienten sicher und effizient zu gestalten. Die wichtigsten Elemente dieses Konzepts sind:

Technische Maßnahmen:

Schwerlastrettungswagen

Konventionelle Rettungsfahrzeuge stoßen bei adipösen Patientinnen und Patienten oft an ihre Grenzen, weshalb Schwerlastrettungswagen (S-RTW) entwickelt wurden. Diese Fahrzeuge sind für den Transport von Patientinnen und Patienten mit einem Gewicht von bis zu 300 kg oder mehr geeignet. Schwerlastfahrzeuge sind in ihrer Ausstattung angepasst: Sie verfügen über verstärkte Tragen, größere Fahrgastzellen und leistungsstärkere Lade- und Hebesysteme.

Geeignete Hilfsmittel zum Heben und Tragen

Zum sicheren und schonenden Heben schwergewichtiger Patientinnen und Patienten sind spezielle Hilfsmittel (hmdb.sicherer-rettungsdienst.de) erforderlich. Dazu zählen u. a.:

  • Roll-in-Fahrtrage mit elektrohydraulischer Höheneinstellung und Einzugsvorrichtung.
  • Spezialtragen: Breitere und verstärkte Tragen für höhere Belastungen (bis zu 300 kg oder mehr).
  • Treppengleittuch: Es wird für den Liegendtransport treppab verwendet und kann in engen oder gewendelten Treppen als Alternative für den Raupenstuhl eingesetzt werden.
  • Raupenstuhl: Ermöglicht einen rückenschonenden Transport treppauf.
  • Raupenstuhl in Kombination mit einem Krankentragestuhl (elektrischer Raupenantrieb, der an einem Krankentragestuhl befestigt wird). Bei diesem System ist ein Umlagern für den Transport ins Fahrzeug nicht erforderlich.
  • Treppensteiger: Dieses Hilfsmittel ist alternativ zu Raupensystemen für den Transport von verschiedenen Krankentragestühlen geeignet. Durch den geringeren Bewegungsradius ist ein Transport eventuell auch bei engeren oder gewendelten Treppen möglich.
  • Rollbord/Rollbrett: Es erleichtert den Transfer schwergewichtiger Patientinnen und Patienten zwischen Trage und Bett.
  • Rescue Loader: Transporthilfe für die Drehleiter.

Organisatorische Maßnahmen

Information durch die Leitstelle

Die Leitstelle sollte bei einem Notruf Körpergröße, Gewicht und Mobilität der Patientin/des Patienten erfragen, um festzustellen, ob es sich um eine adipöse Person handelt. Diese Informationen sind entscheidend, damit von Anfang an die richtigen Ressourcen (z. B. Schwerlastfahrzeuge und Spezialausrüstung) zum Einsatz kommen.

Tragehilfe

In einer nicht repräsentativen Befragung von Rettungskräften wurde das Patientengewicht in ca. 30 % der Fälle auf mehr als 100 kg geschätzt. Es scheint gängige Praxis zu sein, ab einem Patientengewicht von ca. 120 kg eine zusätzliche „Tragehilfe“ zur Unterstützung anzufordern. Dies ist in ländlichen Regionen ohne Berufsfeuerwehr schwieriger, wenn Tragehilfe von Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr geleistet werden muss. Die Bereitschaft der Arbeitgebenden, ihre Mitarbeitenden für den Einsatz freizustellen, ist begrenzt. Diese Erfahrung führt bei Rettungskräften vor Ort nicht selten dazu, auch Personen mit hohem Gewicht zu zweit ohne weitere Trageunterstützung zu transportieren. Es ist deshalb wichtig im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung klare Regelungen zu treffen, ab welchem Patientengewicht eine organisierte Tragehilfe anzufordern ist, um die Gesundheit von Mitarbeitenden zu schützen und ihnen die Entscheidung zu erleichtern.

Schulung des Personals im Rahmen der Unterweisung

Eine spezielle Schulung des Rettungs- und Feuerwehrpersonals im Umgang mit schwergewichtigen Patientinnen und Patienten ist unerlässlich. Folgende Schulungsinhalte sollten abgedeckt werden:

  • Erläuterung des Adipositas-Konzepts
  • Ergonomisches Heben und Tragen
  • Handhabung von Hebesystemen, Schwerlasttragen und anderen Hilfsmitteln
  • Kommunikation und Umgang mit adipösen Patientinnen und Patienten

Nicht zuletzt hat die unmittelbar vorgesetzte Führungskraft die Mitarbeitenden zum Thema „Transport übergewichtiger Patientinnen und Patienten“ angemessen und ausreichend zu unterweisen. Inhalte sind im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung festzulegen.

Kataster von Adipositas-Patientinnen und -Patienten

Ein Kataster für adipöse Patientinnen und Patienten kann helfen, in Notfällen schneller die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Dieses Kataster enthält Informationen über schwergewichtige Patientinnen und Patienten, ihre Wohnadresse, bauliche Gegebenheiten und spezifische Bedürfnisse. Feuerwehr und Rettungsdienst könnten auf diese Informationen zugreifen, um frühzeitig Schwerlastfahrzeuge und geeignetes Personal anzufordern. Wichtig: Bei Einführung eines Katasters sind Regelungen des Datenschutzes zu berücksichtigen.

Transport durch die Feuerwehr (z. B. mit der Drehleiter)

In Fällen, in denen ein Transport durch Treppenhäuser oder Türen nicht möglich ist, kommt die Feuerwehr zum Einsatz. Mit Hilfe von Drehleitern können schwergewichtige Patientinnen und Patienten durch Fenster oder über Balkone transportiert werden. Solche Einsätze sind komplex und erfordern eine detaillierte Planung sowie eine Berücksichtigung von baulichen Gegebenheiten.

Absprache mit Krankenhäusern

Nicht alle Krankenhäuser sind für die Aufnahme und Behandlung von adipösen Patientinnen und Patienten geeignet. Rettungsdienste sollten im Vorfeld mit den Krankenhäusern klären, welche Einrichtungen über

  • verstärkte Betten und Rollstühle,
  • geeignete Hebesysteme
  • sowie ausreichend dimensionierte OP-Säle und Diagnosegeräte verfügen.

Diese Abstimmung ist essenziell, um unnötige Verzögerungen zu vermeiden und sicherzustellen, dass die Patientin/der Patient direkt in eine geeignete Klinik gebracht wird.

Einsatzorganisation

Zur Vorbereitung eines Schwergewichtigen-Transportes sind u. a. folgende Punkte zu klären:

  • Welches Krankenhaus im Umkreis kann schwergewichtige Patientinnen und Patienten bis zu welcher Gewichtsobergrenze aufnehmen?
  • Gibt es Möglichkeiten, dass die Patientin bzw. der Patient nicht getragen werden muss, sondern anderweitig zum Fahrzeug bewegt werden kann?
  • Wie viele Personen stehen ansonsten als Tragehilfe zur Verfügung? Ist dies ausreichend?
  • Wie viele Personen müssen nachgefordert werden? Welche Vorlaufzeiten sind zu beachten?
  • Werden zusätzliche Rettungsmittel mit höherer, sicherer Arbeitslast benötigt?
  • Wird ein Spezialfahrzeug zum Abtransport benötigt?
  • Wie ist die Treppensituation einzuschätzen? Handelt es sich um ein älteres Gebäude oder ein Treppenhaus mit Holztreppen, ist auch die Frage nach der Statik und maximalen Belastbarkeit zu stellen.
  • Muss über einen anderen Weg (Balkon, Fenster...) evakuiert werden?
  • Werden hierfür Sonderfahrzeuge benötigt?
  • Wie viel Gewicht kann der Korb einer ggf. einzusetzenden Drehleiter bis zu welcher Neigung aufnehmen?
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