Radverluste

RW Radverluste

Düsseldorf. Auch in den BOS-Dienststellen, hier vor allem bei denen, die Rettungswagen (RTW) betreiben, wurden in den vergangenen Jahren in Deutschland immer wieder Fälle von verlorenen (Hinter-)Rädern gemeldet. Betroffen waren in den meisten bekannt gewordenen Fällen MB Sprinter der verschiedenen Fünf-Tonnen-Varianten.

Schon bei den Meldungen in den Medien fällt auf, dass sich die Nachrichten offenbar vor allem dann häufen, wenn üblicherweise Wechsel von Sommer- auf Winterreifen und umgekehrt anstehen, also alle, die Reifenwechsel machen (müssen), die keine Ganzjahresreifen verwenden. Meist wird direkt ein Sabotageverdacht geäußert. Bisher ist dem Verfasser aber kein Beleg dafür bekannt geworden, dafür gibt es eine ganze Reihe von technischen Gründen, die zum Radverlust führen können.

Grundsätzlich muss aber angemerkt werden, dass es eine Vielzahl von weiteren Fahrzeugen bzw. Fahrgestellen gibt, bei denen ebenfalls diese Problematik auftreten kann. Arbeiten Sie daher immer strikt nach den jeweiligen Betriebsanleitungen und verwenden Sie die richtigen Ersatzteile!

Die Recherchen dazu ergeben immer wieder grundsätzlich zwei unterschiedliche Schadensbilder, die ähnliche Ursachen haben können.

  1. (Sehr seltener) Verlust des Radträgers mit daran angeschraubten Felgen.

    Der Radträger ist bei diesem Fahrzeugtyp mit Schrauben an der Achse befestigt. Zum Wechseln der Bremsklötze, -scheiben oder anderen Reparaturen an der Hinterachse muss er ggf. abgenommen werden.

  2. Verlust der Felgen.

    Die Felgen sind mit Muttern (oder je nach konkretem Typ auch mit Schrauben) auf dem Radträger befestigt. Zum Wechseln der Räder der Bereifung, der Bremsscheiben oder bei anderen Reparaturen muss die Felge abgenommen werden.

Im Verhältnis scheinen sich während der Fahrt mehr linke als rechte Räder selbständig zu machen. Das liegt an der üblichen Fahrtrichtung der Räder sowie an den Gewinderichtungen der Radmuttern bzw. -schrauben – und der Physik vor allem beim starken Beschleunigen. In der Formel 1 werden daher auf der linken Fahrzeugseite Rechtsgewinde und rechts Linksgewinde verwendet, damit sich die Schrauben bzw. Muttern nicht durch die Massenträgheit lösen, vgl. Tzrzesniowski, 2014.

RTW sind zwar keine Formel-1-Wagen, allerdings werden sie im Verhältnis zu normalen Transportern oder gar Wohnmobilen deutlich stärker durch Beschleunigungs- und Bremsvorgänge sowie scharfe Kurvenfahrten im Fahrwerk insgesamt belastet.

Ursachen für die Radverluste

ein Reifen eines Rettungswagens aus Bodensicht©UK NRW | BGW

Soweit bisher bekannt ist, sind es technische Gründe – z.T. in Verbindung mit falschem Umgang oder Versäumnissen in Wartung und Kontrolle. Nachfolgend die bisher bekannten Ursachen:

  1. In einigen Fällen wurden offensichtlich die Oberflächen der Kontaktstellen (Radträger/Achse bzw. Felge/Radträger) nicht ausreichend gesäubert. Verbleibt aber z.B. Rost auf den Flächen, kann es dazu kommen, dass die Radmuttern bzw. -schrauben zwar ausreichend fest angezogen werden, der Rost sich aber auch noch Wochen danach löst und damit der sichere Halt nicht mehr gegeben ist. Die Muttern bzw. Schrauben können sich dann weiter lösen, bis das ganze Rad abfällt.

  2. Die Räder haben Unwuchten – z.B. durch Anfahrschäden – und führen darüber über Vibrationen zu Problemen.

  3. Grundsätzlich können die Radschrauben für Leichtmetall- und Stahlfelgen aufgrund deren unterschiedlicher Bauweisen bzw. Materialstärken unterschiedlich lang sein. Werden die falschen Schrauben verwendet, kann dies zu Schäden bzw. Radverlusten führen. Das ist insbesondere auch für die Verwendung des Reservereifens wichtig, weil der auch bei Fahrzeugen mit Aluminiumfelgen in der Regel auf einer Stahlfelge sein wird.

  4. Es gibt Berichte über innen komplett verrostete und damit zerstörte Gewindegänge der Radbolzen im Radträger. Hier muss dann je nach Bauart der Radbolzen bzw. der Radträger ersetzt werden.

  5. In einigen Fällen von Radverlusten nach Felgentausch wurden vermutlich Felgen aus einer älteren Bauserie verwendet, die ein etwas anderes Maß (in der Felgendicke bzw. deren Lochung bzw. Lochausbildung) hatten. Achtung: Im Laufe eines Produktzyklus können sich Felgenstärken o.ä. ggf. mehrfach ändern!

  6. Ein Fall wurde bekannt, dass die Radmuttern falsch herum aufgesetzt wurden (d.h. Montagefehler).

  7. Es wurde ein falsches (zu niedriges) Drehmoment für das Anziehen der Schrauben bzw. Muttern verwendet. Hinweis: Die Anzugdrehmomente für Leichtmetall- und Stahlfelgen beim Sprinter sind z.B. bei der Baureihe 906 (2008 – 2016) mit 180 bzw. 240 Nm unterschiedlich groß! Ebenso ist das Anzugmoment für Radmuttern und Radschauben unterschiedlich groß.
    Wird mit zu geringem Anzugmoment angezogen, dann kann sich die Schraube bzw. Mutter lösen, bei zu hohem Anzugmoment kann entweder die Schraube oder der Stehbolzen abreißen, oder das Gewinde beschädigt werden.

  8. Es wurden die Schrauben bzw. Muttern der Felge nicht wie gefordert nach ca. 50 km nachgezogen.

Abhilfe und Vorsorge

Grundsätzlich sollten Fahrzeuge, bei denen ein unklares Fahrverhalten („Schwimmen“) bzw. -geräusche (Klackern, Klappern) auftritt, unverzüglich kontrolliert werden. D.h. umgehend anhalten und mit dem Bordwerkzeug die Schrauben kontrollieren bzw. nachziehen. Sollten die Schrauben lose sein, anziehen und ggf. nach Erledigung des aktuellen Einsatzauftrags umgehend die übliche Werkstatt anfahren und die Felgen bzw. Schrauben kontrollieren lassen.

Fehlen bereits Schrauben oder Muttern, oder sind alle so lose, dass sich die Felge bereits erheblich seitlich bewegt haben kann, darf nicht weitergefahren werden, weil die verbleibenden Schrauben bzw. Muttern bzw. der Stehbolzen oder das Gewinde beschädigt sein können. Das Fahrzeug muss von einem Fachmann überprüft und entweder vor Ort die Schrauben bzw. Mutter ersetzt bzw. das ganze Fahrzeug eingeschleppt werden.

Es wird geraten, die Arbeiten grundsätzlich nach den Herstellervorgaben für den jeweiligen konkreten (!) Fahrzeugtyp (vgl. Betriebs- bzw. Bedienungsanleitung) durchzuführen und dabei sorgfältig vorzugehen. Ergänzend geben wir folgende Empfehlungen bzw. Unterstreichungen:

  • Bei Beständen älterer Felgen z.B. aus früheren Beschaffungsjahrgängen überprüfen, ob die Bemaßung passt oder sich das Felgenmaß bzw. das Lochbild auch nur in Teilen geändert hat. Wenn dies so ist, ist mit dem Hersteller zu prüfen, ob die alten Felgen genutzt werden können oder ob diese zu ersetzen sind.
  • Alle Kontaktflächen sind sauber zu reinigen und es ist darauf zu achten, dass diese nicht beschädigt sind bzw. werden!
  • Soweit Schäden (Korrosion, Abnutzung, Gewindebrüche) an den Kontaktflächen, Radbolzen, Muttern oder Schrauben festgestellt werden, sind diese zu ersetzen! Ist aufgrund des Schadensbildes zu befürchten, dass die korrespondierenden Bauteile (Stehbolzen, Gewinde) am Radträger ebenfalls beschädigt sind, müssen diese Teile ebenfalls überprüft und im Zweifel ersetzt werden.
  • Die Schrauben der Radträger sollten nach den bisherigen Erfahrungen und Hinweisen auch aus Fachwerkstätten grundsätzlich nach dem Lösen und Abnehmen erneuert werden.
  • Für die Arbeiten ist das geeignete Werkzeug zu verwenden (passende und unbeschädigte Nüsse für die Schraubenköpfe, richtig eingestellte und arbeitende Drehmomentschlüssel)!
  • Nach ca. 50 km Fahrt sind die Schrauben korrekt nachzuziehen (Drehmomentschlüssel). (Das DRK BaWü rät ergänzend zu einer weiteren Kontrolle nach 200 km.)
  • Beim Wechsel der Felgen auf neue, oder auch nur neu lackierte, Felgen muss z.B. beim Sprinter der Baureihe 906 nach 1.000 – 5.000 km eine weitere Kontrolle erfolgen, weil sich hier z.B. die Lackschichtdicken durch Alterung ändern können.
  • Während der Fahrt schlagende oder vibrierende Räder auf Unwuchten überprüfen und diese beseitigen. Das verhindert Vibrationen an den Radschrauben bzw. -muttern, die wiederum zum Lösen derselben führen könnten.
  • Radmutternindikatoren können die optische Kontrolle von sich lösenden Schrauben an den Felgen erleichtern. Diese helfen aber nur, wenn sie auch richtig montiert und dann regelmäßig kontrolliert bzw. beachtet werden. Hinweis: Gegen Sabotage helfen sie nicht, weil ein Saboteur die Indikatoren leicht abnehmen, die Schrauben oder Muttern lösen und die Indikatoren dann wieder „richtig“ aufstecken kann, so dass das zumindest direkt danach nicht auffallen wird.
  • Es gibt auch mechanische Sicherungen gegen das ungewollte Lösen von Schrauben oder Muttern, wie z.B. die verschiedenen Varianten der Fa. Rollock. Eine Sabotage wird erschwert, weil das Lösen dieser Sicherungen spezielles Werkzeug erfordert.

Hinweis:
Der vorstehende Text wurde aus dem Magazin "FEUERWEHReinsatz:nrw 5/2019 " entnommen.

Autor: Dr. Ulrich Cimolino

Stand: 11/2019
Webcode: w60